Besuch im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi
Kurz nach sechs Uhr morgens am 2. Juni 2014 starteten wir mit dem Auto der Botschaft in Tokyo Richtung Fukushima Daiichi: Frau Dr. Wassilew, Umweltreferentin und Strahlenschutzexpertin der Botschaft, Frau Ishikawa, die Dolmetscherin, und ich. Nach ca. drei Stunden erreichten wir J-Village, das ehemalige Trainings- und Ausbildungszentrum der japanischen Fußballnationalmannschaft, das ungefähr 20 km südlich von Fukushima Daiichi und damit außerhalb der gesperrten Zonen liegt. Auf unserem Strahlenmessgerät konnten wir sehen, dass die radioaktive Strahlung zwar höher als in Tokyo, aber unterhalb der Schwelle liegt, die von Experten als gesundheitsgefährdend bezeichnet wird.
Seit 2011 wird J-Village von Tepco (Tokyo Electric Power Company) als Einsatzzentrale genutzt. Dort bekamen wir ein ausführliches Briefing über die Lage im Atomkraftwerk, über den Stand der Rückbauarbeiten und vor allem auch über die erheblichen Probleme, die noch zu bewältigen sind. Über die Einzelheiten will ich hier nicht schreiben, denn die sind auf der Website von Tepco (http://www.tepco.co.jp/en/decommision/index-e.html) ausführlich beschrieben. Ich war beeindruckt davon, dass Probleme von Tepco offen angesprochen und dass alle unsere Fragen bereitwillig beantwortet wurden.
In einem Tepco-Bus setzten wir dann die Fahrt in die teilweise oder ganz gesperrten Zonen fort, zunächst nur mit Mundschutz. Je näher wir über die grüne, gelbe und schließlich rote Zone an das Kernkraftwerk kamen, desto deutlicher wurden noch nicht beseitigte Schäden sichtbar. In der roten Zone, die von der Bevölkerung überhaupt nicht betreten werden darf, sah man beschädigte Gebäude, rostende Straßenbaumaschinen und einen Wildwuchs der Vegetation.
Schließlich kamen wir am Kraftwerk an, wurden nach eingehenden Sicherheitskontrollen eingelassen und besuchten zuerst das sog. Anti-Earthquake-Buildung, die Operationszentrale, in der ca. 200 Arbeiter an Computerbildschirmen arbeiten. Ich hatte den Eindruck, dass dort eine verhältnismäßig entspannte Atmosphäre herrscht. Dann wurden wir mit Schutzkleidung und Gesichtsmasken und persönlichen Dosimetern ausgestattet. Mit einem Kleinbus fuhren wir über das Gelände und stiegen an verschiedenen Stellen aus. Bei jedem Wiedereinstieg in den Bus wurden die Plastiküberzüge über den Schuhen gewechselt, um so wenig radioaktives Material wie möglich in den Bus zu bringen. Eine Meisterleistung vollbrachte Frau Ishikawa, die unter ihrer Maske unverdrossen und vorzüglich weiter dolmetschte.
Wir sahen eine der Brunnenbohrungen zum Abpumpen des Grundwassers und die entstehende Anlage, die das Erdreich zur Bergseite hin vereist – beide sollen das Eindringen von Grundwasser (derzeit ca. 400 m3 am Tag) verhindern. Wir sahen die gewaltige Wasseraufbereitungsanlage, die demnächst wieder ihren Betrieb aufnehmen soll, und die riesigen Tanks, in denen das kontaminierte Wasser zwischengelagert wird. Wir sahen die zerstörten Reaktorengebäude und beobachteten in der Einheit 4 die Entnahme von Kernbrennstäben aus der Abklingbecken. Wir sahen die Arbeiter auf dem Gelände, die schwerere Schutzanzüge trugen als wir, weil sie ja der Strahlung sehr viel länger ausgesetzt sind.
Vor allem haben wir gesehen, dass auf dem Gelände hart gearbeitet wird und dass Fortschritte erzielt worden sind. Die Verantwortlichen von Tepco, mit denen wir gesprochen haben, haben uns den Eindruck vermittelt, dass sie das Menschenmögliche tun. Sie haben, soweit wir das beurteilen können, nicht versucht, Probleme zu verschleiern. Deutlich geworden ist aber auch, dass immer noch immense Probleme bestehen, für die eine Lösung noch nicht einmal in Sicht ist. Unsere Strahlenbelastung laut persönlichem Dosimeter betrug am Ende des Tages übrigens deutlich weniger als diejenige, der man auf einem Flug von Japan nach Deutschland ausgesetzt ist.