Kormoranfischen in Gifu
Schon kurz nach Ankunft in Japan hatten wir gehört, dass die Einladung des Kunaicho, des Kaiserlichen Haushalts, zum Kormoranfischen in Gifu am Nagara-Fluss zu den Höhepunkten im Leben des diplomatischen Corps gehört.
So fahren wir also nach Gifu und finden uns bei strahlendem Wetter in dem dafür bestimmten Hotel am Ufer des Nagara ein. Eine Reihe von Botschafterinnen und Botschaftern, viele mit ihren Partnern, aus aller Welt sind gekommen, auch der „Grand Master of Ceremonies“ des Kunaicho, Nobutake Odano, und der neue Chef des Protokolls, Jun Yamazaki , jeweils mit ihren Frauen. Ungewöhnlich in dieser Konstellation ist es, dass wir alle ganz leger gekleidet und meist freudig aufgeregt sind.
Die Kormorane werden von ihrem Meister drei Jahre lang trainiert, bis sie fertig ausgebildet sind. Vor ihrem Einsatz wird ihnen eine Schnur so eng um den Hals gebunden, dass sie kleine Fische durchlässt, aber verhindert, dass größere Fische verschluckt werden. Ein Kormoran kann bis zu einem Kilogramm Fische in seinem Hals halten. Eine zweite Schnur läuft unter den Flügeln um den Körper der Vögel. Deren Ende hält der Meister beim Fischen in der Hand und zieht sie, wenn der Kormoran im echten Sinn des Wortes den Hals voll hat, an Bord. Dort spuckt dieser die Fische aus und wird anschließend wieder ins Wasser gelassen. Die Kunst des Meisters, der zehn bis zwölf Kormorane führt, besteht nicht zuletzt darin, dass sich die Schüre nicht verheddern.
So langsam wird es dunkel, und wir gehen an Bord von Booten des Kaiserlichen Haushalts, wo wir mit Getränken und einem kleinen Imbiss versorgt werden. Nachdem wir eine Weile gefahren sind, ist es gänzlich finster. Zunächst erkennen wir die fünf Fischerboote in der Ferne nur an dem Feuerschein der brennenden Holzscheite, die in einem beweglichen Korb über dem Wasser hängen. Gefischt wird nämlich nachts, das Feuer lockt die Fische an und ermöglicht den Kormoranen, ihre Beute, nach der sie tauchen, zu sehen. Gefischt werden Ayu, eine Stintart, die es nur in Ost- und Südostasien gibt und die als besondere Delikatesse gelten.
Dann kommen wir den Fischerbooten ganz nah. Drei Mann sind jeweils an Bord: der Fischermeister, sein Assistent und der Ruderer. Zuweilen wird es laut, denn die Kormorane müssen durch Rufe und durch Schläge der Ruder an die Bootswand ermuntert werden. Mit einem Kollegen diskutiere ich die Frage, warum die Kormorane auch nach den größeren Fischen tauchen, wenn sie nur die kleineren herunterschlucken können. Wir kommen überein, dass auch nach drei Jahren Training die Intelligenz dieser schönen Vögel nicht überschätzt werden darf.
Nachdem wir wieder im Hotel sind und uns umgezogen haben, gibt es ein festliches Abendessen auf Einladung des Grand Master of Ceremonies mit erlesenen Weinen aus dem Kaiserlichen Keller. Dabei dürfen natürlich auch die gefischten Ayu nicht fehlen, die, nicht länger als meine Hand, im Ganzen gegrillt worden sind. Ich tue mich anfangs etwas schwer, sie mit den Stäbchen zu filetieren, bis ich sehe, dass mein japanischer Tischnachbar sie voller Genuss mit allen Gräten verspeist.
Am Ende des Tages sind wir uns einig: das Kormoranfischen zu erleben ist etwas ganz Besonderes. Wir haben teilgehabt an einer Tradition, die über 1.300 Jahre hinweg vom Vater auf den Sohn übertragen wird. Sechs Fischermeister gibt es in Gifu, die dem Kaiserlichen Haushalt angehören und die daher unter dem besonderen Schutz des Tenno stehen. Die Kormorane werden behandelt wie Familienmitglieder und haben, soweit man dies als menschlicher Laie beurteilen kann, Spaß an ihrer Tätigkeit. Weil das Kormoranfischen nur bei sauberem und klarem Wasser möglich ist, ist der Nagara ein Naturschutzparadies. Und nicht zuletzt beschert das allnächtliche Spektakel zwischen Mitte Mai und Mitte Oktober der Stadt und der Präfektur Gifu substantielle Tourismus-Einnahmen.