Über die Häuser von Karl Bengs
Was mich in Japan immer wieder neu verwundert, ist die Tatsache, dass es hier so wenig historische Bausubstanz gibt. Es ist völlig normal, dass so gut wie alle Wohnhäuser, auch Tempel und Schreine, nach zwanzig bis dreißig Jahren abgerissen und neu gebaut werden, nicht immer schöner, als sie es vorher waren. Dies ist sicher auch ein Grund dafür, dass japanische Touristen in Verzückung geraten, wenn Sie nach Rothenburg ob der Tauber oder in andere historisch gut erhaltene Städte in Deutschland reisen.
Einer, der sich diesem Trend seit langem entgegenstellt, ist Karl Bengs in der Präfektur Niigata. Vor über fünfzig Jahren kam er als Judo- und Karate-Schüler nach Japan – das sieht man ihm immer noch an - und verliebte sich in die traditionellen Volkshäuser (Kominka). Sie galten damals als unbequem und unmodern und wurden zum größten Teil im Wirtschaftsboom abgerissen und durch „zweckmäßige“ Bauten ersetzt. Inzwischen ist Bengs Architekt, und seit mehr als zwanzig Jahren baut er alte Häuser um und erneuert sie behutsam. „Städte ohne alte Häuser sind wie Menschen ohne Gedächtnis“, das ist sein Motto, das er auf vielen Vorträgen immer wieder verkündet, das er aber vor allen Dingen auch ganz wunderschön in die Tat umsetzt.
Er entkernt die alten Häuser bis auf ihre Fachwerkstruktur, macht sie leicht und luftig und hell, baut deutsche Fenster ein und lässt auch sonst ein wenig deutschen Bau- und Einrichtungsstil einfließen. In ihrem Wesensgehalt aber sind die Häuser japanisch, und sie strahlen in ihrer schlichten Klarheit eine große Behaglichkeit aus.
Dies empfinden ganz offenbar auch die Bewohner so. In der Stadt Tokodokoro, wo er mit seiner Frau lebt, kann man viele Beispiele seiner Baukunst bewundern, und die Eigentümer öffnen bereitwillig ihre Türen und zeigen stolz den Besuchern, in welchen Kleinodien sie leben. Nach einem Wochenende in Bengs‘ neuer Heimatstadt bin ich tief beeindruckt und ein bisschen neidisch auf die Menschen, die dort im Einklang mit ihrer Geschichte leben.